Jenna Brinning - Friends of Friends / Freunde von Freunden (FvF)

Jenna Brinning

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Es ist wohl nicht das erste Mal, dass uns ein Interviewter mit Kaffee und Kuchen begrüßt, aber doch jedes Mal eine Überraschung und ein Zeichen der Herzlichkeit. Jenna freut sich über die Gäste in ihrer komfortablen Vierzimmer-Wohnung und ihre ältere französische Bulldoggendame scheint auch begeistert. Sie wohnt direkt an der Grenze von Friedrichshain und Prenzlauer Berg, in direkter Umgebung der zur winterlichen Jahreszeit eher grau-bräunlich gefärbten Grünflächen des Volksparks Friedrichshain. Ihre Wohnung dient gleichzeitig als Arbeitsplatz.
Die Gastronomie, das Hotelwesen und ihre Zivilstellen beim Militär hat die geborene Amerikanerin mittlerweile weit hinter sich gelassen. Mittlerweile arbeitet sie die meiste Zeit zu Hause und kann sich ihren Tagesablauf selbst einteilen.
Als studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaftlerin arbeitet Jenna Brinning seit über zehn Jahren als freiberufliche Übersetzerin und ist journalistisch sowie wissenschaftlich beratend tätig, nicht zuletzt für Online-Dienste wie Tumblr, Aka-Aki und MySpace. Sie hat sich einen beachtlichen Kundenstamm aufgebaut, vorwiegend aus Web- und Consulting-Firmen, Software-Häusern und Online-Agenturen. Kurz nach unserem Interviewtermin ist die überzeugte Freiberuflerin nun doch bei ihrem Klienten Tumblr als feste Mitarbeiterin eingestiegen, wo sie jetzt für den internationalen Ausbau zuständig ist.
Demnächst pendelt sie also häufiger zwischen New York und Berlin. Die Hauptstadt zu verlassen kommt derzeit nicht in Frage – Berlin empfindet die Deutschamerikanerin seit über 20 Jahren als ihre Heimat. Wie es dazu kam, das erzählt sie uns im Interview.

Erinnerst du dich an deinen ersten Job, den du je angenommen hast?
Mein erster Job war in der Gastronomie in New Hampshire, es sei denn wir zählen noch meine frühen Tätigkeiten als Babysitterin als “Job”, als ich 11 oder 12 Jahre alt war. Ich arbeite seit meinem 15. Lebensjahr und zahle auch seit dieser Zeit Steuern und Sozialabgaben. Andere Länder, andere Sitten, nehme ich an (lacht).

Also warst du früh selbstständig?
Sehr früh, ja. Rückblickend habe ich interessante Erfahrungen gesammelt, aber wirklich Spaß gemacht hatte das nicht und eine typische Jugendzeit war das letztlich auch nicht.

Helfen dir denn diese ersten beruflichen Erfahrungen heute?
In jedem Fall. Man kann Zusammenhänge schneller erkennen und Probleme leichter erfassen. Bis zur Aufnahme der freiberuflichen Tätigkeit haben mir meine Jobs und Berufe sicherlich auch in Sache sozialer Kompetenz geholfen. Seit Jahren arbeit ich nun alleine vor mir am Rechner hin. Die Menschen mit denen ich zusammenwirke sind zwar anwesend, allerdings meist nur virtuell, z.B. über Skype. Früher gab es in meinem Arbeitsalltag definitiv mehr Kommunikation von Angesicht zu Angesicht, aber heute brauche ich eh Ruhe zum Schreiben.

Wo kommst du genau her?
Geboren bin ich in Providence, Rhode Island. Allerdings sind wir sehr häufig umgezogen; ich hab auch in Connecticut, Massachusetts, New Hampshire, Illinois und Virginia gelebt, teilweise auch mehrmals in manchen Bundesstaaten – mein Vater wurde von seiner Firma oft versetzt und dann musste ich mich eben in einer neuen Schule an einem neuen Ort zurecht finden.

Wann kamst du das erste Mal nach Berlin?
Das erste Mal bin ich im Sommer 1988 nach Berlin gekommen und blieb einige Monate. Ich kenne Berlin noch vor der Wende, auch den Ostteil der Stadt. Damals habe ich bei einer Tante in Berlin-Dahlem gelebt, dort hatten die amerikanischen Truppen ihren Stützpunkt und die meisten Amerikaner wohnten damals in Wohnsiedlungen. Ich blieb ein paar Monate und wollte schließlich zurück in die USA, um die Schule fertig zu machen. Das tat ich dann auch. ?Am Tag nach meinem Abschluss setzte ich mich ins Flugzeug zurück nach Berlin; ich hatte damals das Gefühl, in Berlin meine Nische gefunden zu haben. Eine ganze Reihe familiärer Probleme erleichterten mir auch die Entscheidung, die Vereinigten Staaten permanent zu verlassen. In Berlin wieder angekommen wohnte ich in einer Zweier-WG in tiefstem Neukölln und fing an, mich durchzuschlagen. Es war nicht immer einfach.

Gab es damals Dinge, die dich an Berlin als Stadt besonders interessiert haben, bzw. deine Neugierde geweckt haben?
Ja, in jedem Fall. Ich habe mich schon beim ersten Besuch täglich aus dem eher typisch amerikanischen Umfeld der Siedlungen in Berlin-Dahlem raus bewegt, um die Stadt für mich zu erkunden. Mir ist als Teenager damals schnell das alternative Flair der Stadt aufgefallen, in manchen Gegenden zumindest. Berlin vor der Wende hat jede Menge Menschen angezogen, die die Wehrpflicht umgehen und sozusagen dem System trotzen wollten. Mit 17 Jahren ist man da schon beeindruckt. Es lag ein Knistern in der Luft, Berlin war zu dieser Zeit einmalig in der Welt! Der Konflikt zwischen Ost und West, die Spannungen – eine von der Weltöffentlichkeit beobachtete Kapsel, umzingelt von einer Betonmauer.

Hast du die Wende in Berlin miterlebt?
Ja. Kurz nachdem ich nach Berlin zurückkehrte war der Exodus nach Ungarn und Österreich im Gange. Eines Abends war ich auf Arbeit und da hörte man, dass die Mauer geöffnet werden würde. Ich stand damals auch, gemeinsam mit den Massen an Menschen, oben auf der Mauer und jubelte mit.

Hast du als Selbstständige einen typischen Tagesablauf?
Ja, den habe ich schon. Natürlich ist der Freiberufler flexibler als der Festangestellter und vieles hängt von der Auftragslage ab. Eine gewisse Routine ist trotzdem da. Ich stehe auf, mache mir einen Kaffee, kalkuliere Angebote, arbeite die E-Mails ab und drehe dann eine Runde mit dem Hund bevor ich richtig loslege.

Wie fing das mit der Übersetzung an?
Das freiberufliche Dasein ist mehr oder weniger Zufall gewesen. Mit Prof. Dr. Raúl Rojas habe ich Ende der 90er am Institut für Informatik an der FU gearbeitet, an einem riesigen Buchprojekt – einem englischsprachigen Lexikon der Informatik, das als nachhaltiges Referenzwerk dienen sollte. Als das Werk langsam fertig wurde, brachte mich Raúl auf die Idee, meine eigene Website zu programmieren, um Übersetzungen im Netz anzubieten. Damals steckte ich mitten im Studium und wusste nicht so recht, wie es finanziell weitergehen sollte. Raúls Idee fand ich ganz gut und da ich schon als Übersetzerin Erfahrungen gesammelt hatte, „bastelte“ ich mir eine eigene Website und stellte sie Anfang Januar 2001 online, genau vor zehn Jahren. Circa eine Woche später hatte ich dann auch meinen ersten Kunden.

Das Wissen, eine eigene Website zu programmieren hattest du also schon?
Naja, ich hatte eine gute Basis an Wissen angesammelt und war eh immer etwas technisch versiert. Begabt war ich im Studium nie besonders, wenn es ums richtige Programmieren ging aber eine Website auf die Beine zu stellen war damals leichtes Kodieren. Informatik habe ich mehr nebenher studiert, während des Lexikonprojekts, abgeschlossen habe ich meinen M.A. in PuK, Ethnologie und Psychologie.

Wie haben die Leute dich gefunden?
Google gab es zu der Zeit noch gar nicht; Alta Vista war die beste Suchmaschine. Ich hatte damals im Netz wenig Konkurrenz für Deutsch-Englisch Übersetzungen und wenn man danach suchte, fand man mich. Nebenbei habe ich auch ein paar Aufträge für eine Übersetzungsagentur übernommen, um Startschwierigkeiten zu vermeiden. In den ganzen zehn Jahren musste ich glücklicherweise kein einziges Mal aktiv Akquise machen. Ich habe immer ein bisschen SEO betrieben, geschaut wie die Website getextet ist und natürlich kam über die Jahre viel Mundpropaganda dazu.

Du schreibst viel und arbeitest viel mit Texten. Was motiviert dich?
Eigentlich wollte ich Fotografin werden. Die Fotografie hatte mich seit meiner Kindheit fasziniert aber als ich nach Berlin gegangen war, wurden mir diesbezüglich immer die Türen vor der Nase zu geschmissen. Ich war aber auch immer eine richtige Leseratte. Über die Jahre gab es viel Bestätigung für meine eigenen Texte, zunächst von Lehrern und Bekannten, später von Klienten und Lesern. Solches positives Feedback ist natürlich höchstmotivierend. Eine gute Fachübersetzung zeichnet sich beispielsweise dadurch aus, dass sie komplexe Sachverhalte einfach und verständlich wiedergibt.

Welche Medien bestimmen deinen Alltag?
Ich habe viele neue Printmagazine für mich entdeckt, wie zum Beispiel „18“ aus Israel. Print ist nicht tot! Trotzdem habe ich mein Tageszeitungs-Abo letztes Jahr gekündigt. Nachrichten im Jahr der Finanzkrise und die dazugehörige Weltuntergangsstimmung haben mich irgendwann komplett verrückt gemacht. Ich konnte es nicht mehr ertragen und kann mittlerweile guten Gewissens sagen, dass es mir ohne Tageszeitung besser geht.? Information beziehe ich überwiegend aus dem Netz. Obwohl ich sehr wohl eine bestimmte politische Einstellung habe, bin ich nicht mehr besonders politisch interessiert. Abgesehen von den größeren Nachrichtenwebsites, die mich auf dem Laufenden halten, lese ich in letzter Zeit vor allem Interior-Blogs.

Wie würdest du “typisch amerikanisch” beschreiben?
Die Freundlichkeit einerseits, die Oberflächlichkeit andererseits. Wenn du in den USA gefragt wirst, wie es dir geht, lautet die Standardantwort „gut“. Niemand würde je etwas anderes erwarten. Man überhört gerne, wenn es einem schlecht geht. In Berlin dagegen fragt man gar nicht erst nach. Auch gut. Hier ist es den Leuten einfach egal, wie es einem geht (lacht).

Wir machen eine kleine Pause, trinken eine weitere Tasse Kaffee und Jenna stellt uns ihre liebsten alten Platten vor. U.a. Bruce Springsteen, The Smiths und Punk-Bands der frühen 80er Jahre wie z.B. Meat Puppets.

Gibt es noch analoge Medien, die dich begeistern?
Ja, zum Beispiel mein alter Plattenspieler und meine kleine Plattensammlung. Ich hab auch noch einen alten VHS-Player und ein Tapedeck, beide Geräte benutze ich. Bis heute habe ich noch kein iPhone, Macintosh benutze ich allerdings seit 1986 und bin da sehr linientreu. Ich kann mich noch an das System 6 erinnern und habe noch bis letztes Jahr sogar ein aufgemotztes G4 als Desktop benutzt.

Kommt dir die Flexibilisierung des Arbeitsplatzes zugute?
Ich weiß alle reden noch von diesem Trend, aber für mich war das nie ein ausschlaggebender Faktor, der mich besonders weiterbringt. Ich brauche einfach Ruhe bei meiner Arbeit und kann mich echt nicht ins Oberholz hinsetzen und produktiv arbeiten. Networking und Mobilität sind trotzdem unabdingbar für mich, vor allem wenn ich zukünftig öfters in New York sein muss.

Was war das erste Blog, das du wirklich bewusst verfolgt hast?
Robot Wisdom von Jorn Barger. Das ist heute immer noch online! Ich hab selbst Ende der 90er angefangen ein eigenes Blog zu führen, das war zu der Zeit noch relativ neu – da gab es das Wort ‘Blog’ noch nicht mal wirklich. Blog-Software oder –Plattformen waren noch nicht weit verbreitet, also habe ich damals alles in HTML manuell geschrieben und hochgeladen.

Was machst du zur Zeit für Tumblr?
Für Tumblr mache ich gerade viele verschiedene Sachen, die mit dem rasanten organischen Wachstum der Plattform zusammenhängen. Nach deutschen, französischen und italienischen Lokalisierungen bereiten wir aktuell eine japanische Lokalisierung vor. „Lokalisierung“ kann man in diesem Zusammenhang mit einer lokalen Integration gleichsetzen. Vordergründig natürlich die Überwindung sprachlicher Barrieren und die Anpassung an die Gegebenheiten des jeweiligen Marktes.

Abgesehen davon, dass du für Tumblr arbeitest, gibt es etwas, dass dich an Tumblr auf einer anderen Ebene begeistert? Bestimmte Qualitäten vielleicht?
Ich war lange Zeit ein Tumblr-User bevor ich anfing, für sie als freier Consultant zu arbeiten. Der größte Vorteil dieser Mikroblogging-Plattform liegt sicherlich an ihrer einfachen Nutzbarkeit. Man wird nicht mit einem großen, leeren, weißen Feld konfrontiert, sondern bekommt schnell inhaltliche Impulse und eine gute Orientierung geliefert. Tumblr zeichnet sich aber auch durch leistungsstarke Social-Networking-Attribute hinter der Oberfläche aus. Es macht einfach Spaß. Das Ganze kann z.B. als eine Art Ideenbuch oder Sammelalbum genutzt und mit Schlagwörtern versehen werden. Ich habe Tumblr immer viel zum Sammeln von Visuals und Fundstücken aus dem Netz genutzt, die ich inspirierend, lustig oder interessant fand und mit anderen teilen wollte. Der Service von Tumblr, im Vergleich zu WordPress als Beispiel, fokussiert sich mehr auf die Community und einzelne kuratierte Themenstrukturen und Schwerpunkte, wie beispielsweise Mode, Nachrichten, Grafik-Design, Technologie, Wissenschaft oder Fotografie.

Gibt es Plätze an denen du gerne noch leben würdest?
Zur Zeit könnte ich mir Tel Aviv gut vorstellen. New York ist immer spannend und Stockholm wäre auch sehr schön – zumindest für längere Ausflüge. Ich könnte Berlin aber nie endgültig verlassen, diese Stadt ist mit den Jahren meine Heimat geworden.

Welche sind deine aktuellen Lieblingsblogs?
The Setup (http://usesthis.com/)
Garbage Dress (http://www.garbagedress.com/)
Black White Yellow (http://blackwhiteyellow.blogspot.com/)
Longform – zwar kein Blog aber ich will’s nicht mehr missen (http://longform.org/)
Rebecca’s Pocket – das lese ich schon seit 1999! (http://www.rebeccablood.net/)

Vielen Dank an Jenna für das entspannte Interview, den Kuchen und den Kaffee. Weitere Informationen zu Jenna’s Werdegang und ihren aktuellen beruflichen Ambitionen findet ihr auf ihrer Website. Für visuelle Sammelstücke aus ihrem Alltag, checkt ihr am besten mal ihren Tumblr aus. Viel Spass!

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